Der beste Moment des Jahres 2016 kam für KYTES irgendwann im Frühjahr in Austin, Texas. Die Band hatte den US-Zoll trotz
20.000 Gitarreneffekten, die aussehen wie Bomben, passiert und soeben vier atemlose Konzerte beim weltgrößten Showcase-Festival
South by Southwest gegeben. Schwitzende Amerikaner hatten die Tanzfläche geentert, um zwischen Bier und Barbecue
45 Minuten lang Vollgas zu geben. Zwischen Austin und dem heimischen München liegen 8.823 Kilometer, aber irgendetwas muss
das junge Quartett sehr richtig machen, wenn seine Songs plötzlich auf den Spotify-Playlists wildfremder Amerikaner auftauchen.
Zuerst die harten Fakten: KYTES heißen KYTES, weil der Bandname geil auf der Bühne aussieht, aber eben nicht nur
da. Er ist ästhetisch ansprechend, wirkt kraftvoll und mysteriös und vor allem gutartig. Die Gruppe gibt es seit einem Jahr,
ihre Mitglieder Michael Spieler (Gesang, Gitarre), Timothy Lush (Schlagzeug, Texte), Kerim Öke (Gitarre) und Thomas Sedlacek
(Bass) kennen sich allerdings schon seit einer Ewigkeit. Sie singen auf Englisch, weil das ihrem internationalen Hintergrund
(Deutschland, Österreich, Türkei, Tschechien, Australien) gerecht wird, und weil KYTES schon jetzt ein bisschen auf den Erfolg
jenseits des deutschsprachigen Raums schielen. Austin war bereits sehr vielversprechend, aber Rostock und Nürnberg waren auch
gut. An der Ostsee wurden die Bandmitglieder für Schweden gehalten, und aus Franken kommen die Facebook-Kommentare am liebsten
auf Englisch.
Zweimal waren KYTES bis jetzt auf Tour: erst im November 2015, dann noch einmal im April diesen Jahres. Das Publikum, sagt
Drummer Timothy Lush, habe da bereits jeden einzelnen Song mitsingen können und bestehe außerdem rätselhafterweise mehrheitlich
aus Mädchen. Das sind zwei gute Zeichen. Ein drittes ist, dass auch Menschen, die normalerweise im Hip-Hop, im Metal oder
bei Electro-Klängen zuhause sind, KYTES bereits in ihr Herz oder in ein anderes Organ ihrer Wahl geschlossen haben. Wenn man
ihre Musik beschreiben müsste, käme wohl so etwas wie poppiger Indie-Rock dabei raus aber nicht der von der Lo-Fi-Schrammel-Sorte,
sondern eher die tanzbare, songverliebte Variante, die auf Platte funkelt und live dann etwas mehr Dreck ins Haus trägt. Es
heißt, Bands wie Mando Diao, Foals oder Two Door Cinema Club funktionierten so ähnlich, aber Kytes funktionieren vor allem
ganz gut alleine.
Das konnte man zum Beispiel Anfang des Jahres beobachten. Die Band wurde mit ihrem Song On the Run für eine Vodafone-Werbung
angefragt, woraufhin der Ohrwurm schätzungsweise 100 Millionen CallYa-Tarife verkaufen half. Statt der Tradition zu folgen
und das Geld dafür sinnlos zu verprassen, kauften sich KYTES lieber einen eigenen Bandbus, mieteten einen Proberaum 50 Meter
vom Isarstrand entfernt und spielten ein Album namens Heads and Tales ein. Einer anderen Tradition folgend in
kompletter Eigenregie.
Diese Lebenseinstellung vermittelt sich dann wiederum in den 13 Songs der LP (ja, es wird eine Vinyl-Ausgabe geben). KYTES
glauben an die Selbstverwirklichung: Mach dir nicht zu viel Stress. Mach, was dir gut tut. Hauptsache, du gehst raus
und machst etwas. Das ist insofern autobiographisch, als dass die Bandmitglieder selbst bereits Taten folgen lassen
und gerade parallel zur Musikkarriere ihre Dayjobs zurückfahren. Vielleicht wird sich die totale Autarkie noch nicht nach
ihren Auftritten beim Melt! oder beim Dockville Festival einstellen, vielleicht auch noch nicht nach der bevorstehenden umfangreichen
Herbst-Tournee. Aber wenn Heads and Tales am 16. September erscheint, wird das mehr als eine Etappe sein.
Freuen darüber werden sich in erster Linie Sympathisanten infekziöser Rockmusik, die klassisches Drei-Minuten-Songs-Songwriting
mit eloquenten Texten verbindet. Die kommen gerne aus dem Bauch, müssen aber auf dem Weg nach draußen trotzdem durch die Qualitätskontrolle.
KYTES sagen, dass sie bis auf weiteres auf den Gebrauch des Wortes love verzichten. Wegen Überfischung: Zu viele
andere Bands haben in letzter Zeit quasi das Kontingent ausgeschöpft. Wenn es bei KYTES um Gefühle geht (und um die geht es
glücklicherweise sehr oft), müssen nun eben die entlegeneren Formulierungen her, die Umschreibungen und Doppeldeutigkeiten.
Gleichzeitig gibt es wenig, was an KYTES Musik missverständlich sein könnte. Songs wie I Got Something,
Head to Toe oder Future Kids sind zärtliche Versionen von Arschtritten, die die Band erst sich selbst
und dann dem Publikum verabreicht. Auf Talk oder In the Morning werden nachdenklichere Töne angeschlagen,
bei denen die Sonne trotzdem durch den Türspalt fällt. Was wiederum zum entwaffnenden Humor der Band passt. Eines Tages
machen wir vielleicht eine Platte, auf der Love dann wieder vorkommt, sagt Michael Spieler und lacht: Aber
in dem Moment haben wir uns dann halt verkauft. Heads and Tales erscheint im September 2016 via Filter Music
Group.
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