Fr, 12. Nov 2010
SLUT + SPECIAL GUEST
For Exercise And Amusement / Interference
Special Guest: Pelzig (D)
Es ist seltsam, diese beiden Platten wieder zu hören. Aus vielen Gründen. Einer ist, dass man Slut, diese fünf unverkopften, aber irre schlau und smart agierenden Mitgestalter eines wertvollen deutschen Indietums mittlerweile so ganz anders kennt. Man denke nur an ihre Theater-Engagements, bei denen sie Kurt Weill einer postmodernen Generalüberholung unterzogen. Oder ihr letztes Projekt, als sie mit der Autorin Juli Zeh und einer „Schallnovelle“ auf Konzertreise gingen. Kurz: Der Kosmos von Slut ist 16 Jahre nach Bandgründung irrsinnig weit gefasst und bezugsoffen. Es geht alles, was interessant scheint. Und einen als Künstler weiter bringt.
Und dann sitzt man nun daheim und hört „For Exercise And Amusement“ von 1996 und „Interference“ von 1998 ? Sluts erste zwei Alben, die so klar, rein, trocken und konsequent reduziert aufs Wesentliche klingen. Nicht der Hauch von Elektronik oder anderen Studio-Spielereien, wie sie in den folgenden Jahren in Weilheim an der Seite ihres ? so Sänger und Gitarrist Chris Neuburger ? „ersten und auch längsten“ Produzenten Mario Thaler ausgeknobelt wurden, der schon damals an beiden Alben mitarbeitete und damit einen zusätzlichen Grund für die Wiederveröffentlichung liefert: Man kann beim Hören produktionstechnische Ahnenforschung über einen der später bedeutsamsten deutschen Knöpfchenregler von individueller, herausfordernder Musik betreiben.
Man versetze sich in die Zeit: Die Ingolstädter Gerademal-Twens, beim Debüt noch zu Viert und namentlich erst kürzlich von Medousa XPO zu Slut gewechselt, stellen im elterlichen Keller ihr erstes Album zusammen. Die Anspannung, Aufregung, Neugier auf alles, was kommen kann, ist förmlich zu spüren: Es sind Songs von großer Dringlichkeit, voller Leidenschaft und Gefühle, die sich intensiv mitteilen. Klar, der Sound wäre heute ein anderer, aber sonst, bestätigt Chris, „bin ich sehr froh, dass schon das Debüt etwas Zeitloses und damit Bleibendes besitzt, dass man das Album nicht aus der nostalgischen, sondern einer sehr heutigen Perspektive gut hören kann. Etwas, das ich im Übrigen beim Hören beider Alben empfehle: keine Verklärung bitte. Die Platten zeitigen noch immer ihre Wirkung, wenn auch etwas anders als damals. Es ist nur ganz wenig dabei, zu dem ich heute nicht mehr in vollem Maße stehen würde.“
Zwei Jahre später, 1998, waren sie schon weiter: Man bewohnte ein altes Gutshaus mit dem verheißungsvollen Namen Schloss Westerhofen, wo geprobt und das zweite Album „Interference“ geschrieben wurde. Zwei Jahre, die aus Slut, jetzt zu fünft, eine dynamisch dichte Einheit formten, die bis heute Bestand hat. Man hört die Entwicklungen ? nicht nur darin, dass die Platte druckvoller und ausgewogener klingt. Slut haben an ihren Fähigkeiten gezielt gearbeitet. Es sind immer noch ?nur’ Songs und keine Klangexkursionen, aber sie verlassen zunehmend überzeugt und überzeugend das klassische Songformat. Sie erlauben sich Raum für instrumentale Passagen und haben konsequent an ihrem Minimalismus gefeilt; bis heute eines der definierenden Merkmale Sluts.
Zugleich gilt aber, so Chris: „Die herzlich willkommene Blauäugigkeit, die aus jedem der Songs spricht, haben wir uns glücklicherweise bis heute erhalten können. Sie ist mitunter dafür verantwortlich, dass die beiden ersten Platten, vor allem aber das Debüt, so unverblümt um die Ecke kommen. Wenn man das hört, wird schnell klar: Da wurde nicht viel nachgedacht, sondern vor allem gespielt. Das ist heute wieder unser Ziel. Ein Glück, dass diesen beiden Alben weniger Kalkül als Intuition innewohnt.“
Was beide Platten außerdem durchgängig aufweisen, sind die zahlreichen Gänsehaut-Momente, die sich beim Konsum von Slut-Musik unmittelbar einstellen. Im übrigen auch das entscheidende Kriterium für die Band selber, bis heute: „Nur wenn sich bei allen Bandmitgliedern inklusive Produzent sämtliche Körperhaare aufrichten, ist ein Lied tatsächlich abgesegnet.“ Kann es eine bessere Qualitätsinstanz geben? Wie hervorragend das schon damals klappte, belegen Songs wie „Medea“ und „Cloudy Day“ vom Debüt oder „soda“ und „bussova“ von „Interference“ ? im übrigen auch Chris´ Lieblingslieder aus jener Periode. Kann er mit drei Worten beide Alben beschreiben? Klar kann er: „Schlicht. Und. Ergreifend.“
Entsprechend wirkt die Musik, wenn die Band sie wieder einmal live intoniert. „Wir haben kürzlich bei einem mehr oder minder geheimen Konzert versuchtt, auf alle Elektronika zu verzichten. Derart auf das ?Kerngeschäft’ zurückgeworfen zu werden, ist eine feine Erfahrung. An jenem Abend spielten wir zwangsläufig viele Songs von den ersten beiden Platten und bekamen große Lus, mit klassischem Gitarre-Bass-Schlagzeug-Line-Up und einer Mischung aus vielen alten und manch neuem Stück auf Tour zu gehen.“ So kann man in Kürze Sluts „For Exercise And Interference“-Konzertreise erleben: Ihre früheste Inkarnation trifft die erwachsenen, facettenreich ausgereiften Musiker von heute. Und schon wieder haben Slut ein besonderes Konzerterlebnis geschaffen, wie man es so vermutlich nur auf dieser einen Tour zu sehen bekommen wird.
Dass es überhaupt zur Wiederveröffentlichung kommt, hat einen einfachen Grund: Seit Jahren sind „For Exercise And Amusement“ und „Interference“ vergriffen. So lange schon, dass „ich von zahlreichen meist jüngeren Konzertbesuchern immer wieder auf unser Debütalbum ?Lookbook’ angesprochen werde, obwohl es sich hierbei bereits um unser drittes Album handelt“, wie Chris belustigt berichtet. Es war also überfällig ? schliesslich gibt es genug Nachgewachsene, die nun endlich auf Spurensuche gehen können. Anders als bei vielen Rereleases verzichten Slut auf Gimmicks, Bonusgeschichten oder goldene Schriftzüge, mit denen man all jene, die diese beiden Alben bereits besitzen, gleich noch einmal zum Kauf animieren könnte. Chris: „Es ging schon damals nur um die Musik – so soll es auch bleiben. Zwei Alben, die für sich sprechen. Mehr braucht es nicht.“ Wer diese Musik hört, wird ihm Recht geben.