Do, 6. Nov 2014
THE HIDDEN CAMERAS
In jeder Bewegung Joel Gibbs steckt die standhafte Eleganz eines Dirigenten. Schwungvoll manieriert, so schöngeistig wie ein Blumenbouquet auf einer viktorianischen Kommode. Irgendwo zwischen Oscar Wilde und Charles Baudelaire, opulent, überbordend.
Seit 2001 spielt der Kanadier mit seiner Band The Hidden Cameras nun. In den Kirchen Torontos inszenierte er die legendärsten Nächte der Stadt. Männliche Gogotänzer boten den performativen alles umstürzende Rahmen für Shows, die Religion hinterfragten und Sexualität feierten. Gibb prägte die Musikszene Torontos, als sie fast noch nicht gab. Er war der erste kanadische Künstler, der bei Rough Trade unterschrieb. Inzwischen wohnt Joel Gibb in Berlin. Er hat seinen festen Platz gefunden, als Songwriter, als Künstler. Auf „Age“ will er also nicht wissen, wer bin ich, sondern wie bin ich zu dem geworden.
„’AGE’ dekonstruiert meine musikalischen Wurzeln“. Da sind kleine Referenzen in den Stücken, fast unhörbare Miniaturen, aber sie sind da. Tatsächlich muss man, um „AGE“ zu verstehen, die Ohren auf den Boden legen, die Wurzeln wachsen hören wollen zu versuchen, die Augen schließen, den eigenen Herzschlag ignorieren, die Geräusche filtern.
„Year Of The Spawn“, da sind Trompeten, Trombonen, ein Waldhorn und hinter dem Dickicht, zwischen den Irrlichtern, flimmert dann in der zweiten Strophe der eiskalte Drumbeat von „Bela Lugosi’s Dead“ von Bauhaus durch. Chilly Gonzales spielt Piano. Joel Gibb arbeitet wie ein bildender Künstler. Er konstruiert pedantische Klangskulpturen und Collagen, deren Genauigkeit zunächst hinter der Ästhetik von extrem harmonischer aber auch düsterer Popmusik verborgen bleiben.
„Gay Goth Scene“ zum Beispiel war ursprünglich als Witz gedacht, als eine ironische Fingerübung. Jetzt klingt es heilig wie ein Requiem über verbotene Liebe. Der Song ist schon mehr als zehn Jahre alt. Gibb schrieb ihn noch bei seiner Mutter wohnend. In Toronto veranstaltete er mit Freunden sogar Gay Goth Scene Shows. Wieder findet man unter den Layern von Geigen, dem dunklen Bariton Gibbs eine Metaebene mit Verweis in die Jugend. Mary Margaret O’Haras Stimme ist dort zu hören. Die Mary Margaret O’Hara die eben auf Morrisseys „November Spawned A Monster“ aus dem Off dazu kam.
„AGE“ ist gewissermaßen Joel Gibbs Coming-Of-Age-Album. Rückblickend erforscht er die verschiedensten Schattierungen von Age. Age darf nicht allein Alter übersetzt werden. Zu vielschichtig sind seine Bedeutungen. Age kann alles heißen. Vor allen Dingen meint Age, moralische Pflichten zu übernehmen. Es ist kein Zufall, dass Bradley Mannings Umrisse, das Innere der Platte schmücken. Wir leben schon im Bradley-Manning-Age. Manning ist für Gibb einer des wenigen Menschen mit Anstand, der seiner menschlichen Verantwortung gerecht wurde. Gibb inszeniert Manning als Ikone, als queeren Freiheitskämpfer.
Songwriter zu sein, heißt für Gibb, über das zu schreiben was man kennt und Verantwortung zu übernehmen. Ehrlichkeit ist seine oberste Maxime. „Wenn man nicht ehrlich zu sich selber sein kann, was für ein schlechter Künstler ist man dann erst?“ ‚AGE‘ ist ein Manifest von Wahrhaftigkeit größtenteils in F-Moll geschrieben. Und F-Moll, das wissen wir natürlich, das ist die Tonart der Klage, der Schwermut, aber auch der Sehnsucht und der schwarzen, hilflosen Melancholie. Wie bei Wilde und Baudelaire verhält es sich nun auch bei Gibb, dass hinter jeder noch so blumigen Ästhetik ein Zweifler mit Blick aus dem Fenster steckt.